Christian Vogel startet mit dem Birdy’s in Brunnen durch, nach etwas mehr als einem Jahr zieren ihn bereits 15 Gault Millau-Punkte und ein Michelin-Stern. Der 31-jährige Spitzenkoch spricht über den Erfolg, seine Philosophie und verrät, dass er wohl auch eine andere Karriere hätte machen können.
Text: Stephan Santschi Bilder: zVg.
Jüngst waren sie alle bei ihm in Brunnen zum Essen, das ganze Team von damals, insgesamt 18 Personen. Erinnerungen kamen auf an eine Zeit, in der Christian Vogel auf einem vielversprechenden Weg zum professionellen Skifahrer war. «Unser Jahrgang war sehr stark», erzählt er und nennt Namen wie jenen der zweifachen Olympiasiegerin Michelle Gisin, mit der er gut befreundet ist, oder des dreifachen Juniorenweltmeisters Reto Schmidiger. Was kam bei ihm selbst dazwischen? Ein Kreuzbandriss und ein wegweisender Entschluss.
Als er sich im Alter von 15 Jahren die Knieverletzung zuzog, stand er am Scheideweg. Sollte er nach der Rehabilitation an die Sportmittelschule nach Engelberg gehen? Oder seiner zweiten Leidenschaft, der Kulinarik frönen? Der junge Mann entschied sich für Letzteres und begann auf der Rigi eine Kochlehre. «Einerseits war es schade, weil ich gerne weiter Ski gefahren wäre. Wir waren alle gleich auf und es wurmt mich ein wenig, weil ich gerne wüsste, wie es herausgekommen wäre», gesteht Vogel, doch er hält auch fest: «Ich bin bis heute froh, dass ich mich so entschieden habe.»
Mit elf Jahren macht er sein erstes Sorbet
Christian Vogel, heute 31 Jahre alt, hat abseits des weissen Goldes Karriere gemacht: Seit Juli 2022 führt er in Brunnen im Kanton Schwyz ein eigenes Restaurant, das «Birdy’s by Achtien». Vogel, der wegen seines Nachnamens «Birdy» gerufen wird und der holländische Starkoch Jeroen Achtien zogen das Geschäft gemeinsam hoch. Mittlerweile trägt der Schweizer die Hauptverantwortung, Achtien kehrte in sein Heimatland zurück und steht bei Bedarf aus der Ferne unterstützend zur Seite. Das «Birdy’s» hat voll eingeschlagen, 15 Monate nach der Eröffnung trägt es bereits 15 Gault Millau-Punkte und einen Michelin-Stern. Doch dazu später mehr.
Dass er ein kreativer Kopf ist, zeigte sich schon in der Kindheit, ebenso wie der enge Bezug zur Natur und die Freude an Lebensmitteln. Aufgewachsen ist er in Steinerberg, sein Vater führte eine Käserei, die Mutter einen Delikatessenladen. Wenn sie kochte, stand er daneben und wollte helfen. Seine erste Schöpfung waren gebrannte Mandeln, acht Jahre alt war er da, mit elf machte er aus Eisbär-Bonbons das erste Sorbet: «Ich löste das blaue Zeltli in Wasser auf und fror es ein.» Die Anfänge als Patissier waren gemacht, von diesem Einfallsreichtum sollte er später immer wieder profitieren.
Wie ein Diamant – er braucht den Druck
Sein Einfallsreichtum ging sogar über die Küche hinaus. Christian Vogel beschäftigte sich mit Elektrizität, bastelte Alarmanlagen oder installierte im Auto, noch bevor er den Führerschein erworben hatte, eine Soundanlage mit 149 Dezibel. «Ich bin ein Tüftler, ich wollte stets Neues ausprobieren und mich nicht mit dem Standard begnügen. Ich fragte mich, woraus ein Produkt besteht und wie man es anders anwenden könnte. Daraus entstanden viele coole Dinge, bei denen sich die Leute mitunter fragen: Wie kommt man denn auf so etwas?»
Wenig überraschend verzichtete er darauf, die Käserei seines Vaters zu übernehmen und ging seinen eigenen Weg. Seine Ausbildung zum Koch begann auf hohem Niveau, sowohl qualitativ als auch geografisch, und zwar im 15-Punkte-Haus von Dorly Camps auf der Rigi, in 1400 Metern über dem Meer. Von Beginn weg erhielt er viel Verantwortung, zupfte nicht nur Kräuter, sondern führte Posten mit Salat, Vorspeisen, warmer Küche oder Desserts. «Wie im Skifahren war es streng, doch wir hatten einen super Zusammenhalt und pushten uns gegenseitig», erklärt Vogel und er betont: «Diesen Druck brauche ich, unter Druck entstehen bekanntlich Diamanten.»
So wird Kochen zu einer Philosophie
Die Lehr- und Wanderjahre führten ihn hernach nach St. Moritz, wo er als 19-Jähriger innert Kürze vom Jungkoch zum Postenchef avancierte. Im Wallis bei Peter Gschwendtner war er mit 21 bereits Sous-Chef und entdeckte die eigene Handschrift. «Wir sammelten Pilze, Kräuter und alles Mögliche in der Natur, wir setzten auf eine regionale und saisonale Küche. Ich stellte fest: Es geht um mehr als das, was ich in der Küche gelernt habe. Es geht darum, woher die Produkte kommen. Kochen ist für mich zu einer Philosophie geworden.»
Später, bei Christian Geisler in Horgen, modernisierte er seine Techniken, verfeinerte seine Kreativität. «Beispielsweise nutzten wir Tomatenwasser für frischere und leichtere Gerichte.» In Lenk wirkte er als Küchenchef, gab Vollgas, arbeitete während 18 Stunden am Tag und perfektionierte in seiner Arbeit die Abläufe. «Für mich war klar: Wenn ich es hier schaffe, erreiche ich auch das, was ich immer wollte – ein eigenes Restaurant», erzählt Vogel und schlägt wieder den Link zum Skisport: «Wenn ich im Super G in einer Kurve ans Limit gehe und den Druck aushalte, komme ich mit mehr Tempo raus. Es geht um Vertrauen und Instinkt.»
Erstaunlich ist sein Langzeitgedächtnis
Speziell: Immer wieder schickte sich Christian Vogel auf eigens organisierte Gourmettouren und besuchte die besten Gaststätten der Welt. Dies tat er nicht in Form eines Stage, den Küchen blieb er fern, vielmehr interessierte ihn die Sicht des Gastes. «Ich wollte einen anderen Blickwinkel», erzählt er und lachend hält er fest: «Spanien inspirierte mich sehr, dort ass ich mich durch 31 Michelin-Sterne.» Die Erkenntnisse notierte er nicht etwa in ein dickes Buch, nein, die Kapazität seiner Hirnwindungen reicht hierzu locker aus: «Ich habe ein sehr gutes Langzeitgedächtnis.»
Wenn Christian Vogel ein neues Menü oder Cocktails entwickeln will, brütet er deshalb nicht über Rezepten, sondern fährt vorzugsweise nach Morschach, fläzt sich ins Sprudelbad, schliesst die Augen und geht eine Stunde später mit einem fertigen Plan nach Hause. «Ich überlege, was ich machen will, und stelle mir vor, was zusammenpasst.» Die Bestandteile eines Gerichts erstellt und probiert er separat, jedoch nie als fertigen Teller, das ist nicht nötig. «Ich war so oft essen, die Geschmäcker und Kombinationen sind alle abgespeichert, ich brauche sie nur abzurufen und anzuwenden.»
Im Birdy’s steht das Teilen im Vordergrund
Im Jahr 2018 kam er nach Brunnen, zurück in seinen Heimatkanton, in die Wiege der Schweiz. Vier Jahre lang arbeitete er im Beaufort ehe im Sommer 2022 der Moment zur Eröffnung des eigenen Betriebs am atemberaubenden Vierwaldstättersee gekommen war. «Wir wollten eigentlich Schritt für Schritt vorangehen. Ich bin erstaunt, wie schnell nun alles gegangen ist.» Ein Renner ist das sogenannte Nest in der Mitte des Restaurants, wo sich Gäste an der mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Foodbar einem Fine-Dining-Menü widmen und dem Koch bei der Finissierung der Gerichte zuschauen.
Im Zentrum seiner Arbeit stehen vier Maxime: Sharing-Konzept, vegetarische Küche als Basis, kaum Food-Waste und erschwingliche Preise. Vogel stellte fest, dass der Gast Verschiedenes ausprobieren und teilen möchte. Und so entwickelte er zum Beispiel ein Überraschungsmenü mit zehn Gerichten für zwei Personen. «Unser ganzes Knowhow steckt drin, doch die Portionen sind kleiner und günstiger.» Er weiss: Hohe Preise wirken in einer ländlichen Region und in einem Kanton, der nicht als Gourmet-Mekka gilt, abschreckend. «Doch wir wollen, dass die Leute nicht nur ein bis zwei Mal pro Jahr, sondern regelmässig zu uns kommen.»
Selbst Dessertmuffel können nicht widerstehen
Beim Erstellen eines Gerichts liegt sein Fokus zunächst auf dem Gemüse, danach überlegt er sich, welches Fleisch oder welcher Fisch dazu passt. Wie als Kind mit den Eisbär-Bonbons liebt er das Spiel mit den Texturen. Geröstet, gedämpft oder gebraten, blanchiert oder gekocht, als Creme oder Espuma – «Gemüse wechselt von Saison zu Saison und ich kann mehr damit machen», erklärt Vogel. So entstand einer seiner Signature-Dishes, das Spitzpaprika-Stroganoff: «Ich fülle die Spitzpaprika mit Kartoffelflan und Pilzen, dazu serviere ich eine vegetarische Sauce.» Der Vegetarier ist bedient, wer Lust auf Fleisch hat, bestellt es einfach dazu – zum Beispiel in Form einer Tranche Beef Brisket.
Nicht minder kreativ zeigt sich der Spitzenkoch bei der Zubereitung der Nachspeise, davon lassen sich auch Dessertmuffel begeistern. «Ich arbeite gerne mit Kontrasten, nicht zu süss, sondern eher sauer, salzig und vor allem leicht und frisch», sagt Vogel und illustriert die Theorie mit einem Exempel: «Ich kombiniere reife Früchte mit Trinidad-Tortuga-Schokolade von Felchlin, und zwar als geröstetes Zwetschgenragout mit geraspelter Schoggi, Haselnussglace und Steinpilzkaramell. Es entsteht ein Umami-Konstrukt, man hat alles, salzig, sauer und süss.» Oder er kredenzt eine Yuzu-Creme mit Wassermelonen-Granité, Basilikum-Ganache-Würfel und karamellisierten Sonnenblumenkernen.
Im Winter ruft noch immer die Skipiste
Kein Zweifel: Christian Vogel ist in seinem Element, Bekannte bezeichnen seine Hingabe zuweilen als überpassioniert. «Solange ich es gerne mache, laufe ich nicht Gefahr, zu überdrehen. Zudem habe ich in Brunnen ein super Team», sagt der Überflieger der Haute Cuisine. Für den Ausgleich sorgt neben der Musik – an Events in seinem Lokal legt er noch immer als DJ auf – das Skifahren. Wenn der erste Schnee fällt, kann er es kaum erwarten, um auf die Piste zu gehen. «Meine ganze Energie kommt aus dem Skisport, die Berge geben mir Kraft.» Und so schliesst sich der Kreis zum Teenager, der sich einst nicht für die Ski, sondern die Gastronomie-Karriere entschieden hat.
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